Freitag, 29. Mai 2020
Endlich!!! Lange Zeit durften die lebenslustigen Sizilianer und natürlich auch wir nur zum Einkaufen oder wichtigen Terminen beim Arzt ihre Wohnungen oder Häuser verlassen. Die Carabinieri war überall präsent und hatten mit empfindlichen Geldstrafen hart durchgegriffen. Seit einer Woche endlich können auch wir wieder den Campingplatz ohne Angst vor Repressalien verlassen und uns frei bewegen. Allerdings herrscht überall Masken- und Abstandspflicht, wonach sich die Einheimischen strikt halten. Sogar am Strand haben wir einige ganz vorsichtige Zeitgenossen mit Masken beobachtet. Verrückt!
Die Wettervoraussage war genial und so startete ich heute eine Radtour am Meer entlang, durch Olivenhaine und in die 300 Meter hoch gelegene Altstadt von Modica. Zunächst fuhr ich an der Hauptstraße entlang nach Sampieri und stattete Karin und Franz auf dem Campingplatz einen kurzen Besuch ab. Beide stehen auch schon zwangsweise auf diesem Platz direkt am Meer, da die Corona-Krise Sizilien fast von der Außenwelt abgeschnitten hatte.
Weiter führte mein Radweg am Meer entlang.
Der zeitweise kräftige Sturm in den letzten Wochen hat hier an dieser Stelle durch den Dünensand den Weg zugeweht, und ich mußte auf 100 Meter das Fahrrad schieben, um nicht auf die Schnute zu fallen.
Im Hintergrund steht immer noch die alte Ziegelfabrik, die wir uns schon bei unserem letzten Besuch ausgiebig angeschaut hatten. Die Decken existieren nicht mehr und der Verfall der schönen hohen Wände ist auch nur noch eine Frage der Zeit. Von 1909 bis 1912 erbaut, musste die Ziegelherstellung schon im Januar 1924 eingestellt werden. Die Folgen einer Brandstiftung waren so schwerwiegend, dass die Fabrik nie wieder aufgebaut wurde. Und so steht das Bauwerk noch in 100 Jahren da am Meer und nichts passiert.
Der holprige Radweg führt entlang eines kleinen Flusses ins Landesinnere. Wahrscheinlich wollte man hier Abwasserkanäle verlegen, aber die Mentalität in Italien ist eben eine andere, als in Deutschland und nun ist das sicher sinnvolle Vorhaben aus welchen Gründen auch immer eingestellt worden. Nun liegen die Rohre im Wasser und liegen und liegen.
Ich erreiche Marina die Modica und rolle langsam die mit Orleanderbüschen bewachsene vierspurige, aber menschenleere Prachtstraße hinunter zum Meer.
Die warme Meeresluft empfängt mich auf der Promenade und ich ruhe an der Stelle aus, wo wir am 5. April 2019 drei Tage in strömendem Regen campiert haben; mit dem Starkregen damals war an eine Weiterfahrt nicht zu denken.
Das Foto hier vom letzten Jahr zeigt die dunklen Wolken über dem Meer.
Eine kleine Brücke führt mich über den Fluss, der an dieser Stelle ins Meer mündet.
Im Hintergrund liegt Marini di Modica.
Weiter Richtung Pozzallo Orleandersträucher so weit das Auge reicht. Trotz des wenigen Regens in diesem Jahr überwältigen mich die kräftigen Farben dieser herrlichen Pflanzen.
Am menschenleeren Strand von Pozzallo halte ich nur kurz an und trinke das mitgebrachte Mineralwasser, dass sich durch die Sonne mittlerweile in eine warme Brühe verwandelt hat. Jetzt geht die Straße weg vom Meer hinauf durch Olivenhaine Richtung Modica. Ich quälte mich teilweise trotz Elektroantrieb durch die brütende Sonne.
Auf einer Brücke, die eine Eisenbahnschiene überquert, halte ich an und wundere mich über das verrostete Geländer, bei dem eine obere Querstange fehlt. Für deutsche Verhältnisse undenkbar. Fast hätte ich es vergessen; ich bin ja in Sizilien. Dann höre ich auf den leeren Autostraße ein merwürdiges Geräusch. Als ich mich umdrehe sehe ich ihn kommen.
Der sizilianische ICE von Trapani nach Catania tuckert mit einem lautstarken Getöse unter mir durch und rollt auf dem, wen wundert's, fast neuen Gleisbett durch die Landschaft. Als wieder Ruhe eingekehrt ist, schwinge ich mich wieder auf den Sattel und radle weiter die einsame Natur.
An einem Bauernhaus muß ich wieder anhalten und Flüssigkeit zu mir nehmen. Weit am Horizont erfreue ich mich an dem blauen Meer, dass über weite Strecken mein Begleiter war.
Hier im Süden ist das Korn schon abgemäht und wartet in der gleissenden Sonne auf seinen Abtransport.
Dann endlich komme ich hoch oben in der Neustadt an und der Wegweiser zeigt mir die Richtung: Old Town. Schwindelerregend führt die Straße kurvig steil bergab; ich muß kräftig bremsen, um ein nicht ein zu hohes Tempo erreichen.
Auf der ersten Piazza halte ich an und sitze draußen in einem Café. Ziemlich erschöpft beobachte ich das bunte Treiben in dieser Barockstadt. Keiner bedient mich.
Ich verlasse den Platz wieder und schiebe mein Rad durch die eindrucksvolle Altstadt.
Vor einem Jahr hatten wir uns schon die wichtigsten Kirchen angesehen. Die zahlreichen Cafés sind leer. Die Corona-Krise hat auch hier schon ihre Spuren hinterlassen.
Durch gelbe Abstandsstreifen auf dem Boden wird dem Besucher in diesem Café deutlich gemacht, in welcher Zeit wir leben.
Hier lasse ich mich nieder und bestelle einen kalten Weißwein. Welch' eine Erfrischung.
Touristen sehe ich keine; auch dieses Vehikel wartet vergeblich auf zahlungskräftige Besucher der Altstadt. Nach einer halben Stunde zahle ich, gebe ein anständiges Trinkgeld und verlasse mit Wehmut diese schöne Stadt.
Die Straße führt unter diese atemberaubend hohe Autobahnbrücke in die Schlucht Cava di Santa Maria. Automatisch denke ich an Genua, wo am 13. August 2019 die Morandi-Brücke eingestürzt ist. Viele Fahrzeuge und ihre Insassen stürzten in die Tiefe. 43 Menschen starben. Noch immer ist nicht geklärt, was zu der Tragödie führte. Wenn hier, denke ich ... Mir wird schlecht.
Jetzt geht es nur noch bergab. Ich rolle vorbei an wilden Kaktuspflanzen, Olivenbäumen und einsamen Bauernhöfen.
Links und rechts der Straße ragen Felsen in den blauen Himmel. Kurz vor Scicli treffe ich Salvatore. Rein zufällig kommen wir ins Gespräch. Er erzählt mir, dass er 43 Jahre in Hamburg als Geschäftsführer in einer Textilfabrik gearbeitet hat und jetzt hier als gebürtiger Sizilianer seinen Ruhestand genießt. Er lebt hier zusammen mit seinem Sohn, der in Scicli eine Hundeschule betreibt. Wir sind uns schnell sympatisch und er lädt uns, Rosi und mich auf ein Glas Wein zu sich nach Hause ein. Nach über einer Stunde verabschiede ich mich, radele durch die engen Gassen durch Scicli, wo ich mich mittlerweile besser auskenne, als in Unterbreizbach. In der Ferne liegt das Meer und die Sonne hat sich schon hinter den Bergen für diesen Tag verabschiedet. Es ist merklich kühler geworden, und ich bin froh, als ich kurz vor 20 Uhr wieder auf dem Campingplatz Piccadilly ankomme. Knapp 65 Kilometer war ich heute mit dem Fahrrad durch die einmalig schöne Landschaft im Süden von Sizilien unterwegs. Schön war's, auch wenn mein Hinterteil anderer Meinung ist.