Schloss Schochwitz


     Donnerstag, 1. September 2022     


Schloss Schochwitz ist einer dieser Orte, an denen die Janusköpfigkeit der jüngsten deutschen Geschichte sichtbar wird: Hier lebten während des Zweiten Weltkriegs Carl Wentzel, ein honoriger Koordinator des Widerstands gegen Adolf Hitler, und Heinrich Himmlers mörderischer Adjutant: Ludolf von Alvensleben.

2017 stand dieses geschichtsträchtige, weitgehend sanierte Gemäuer aus der Zeit um 1500 im Saalekreis (Sachsen-Anhalt) für 795.000 Euro zum Verkauf. Es ist eines der besterhaltenen Schlössern zwischen Saale und Harz.

Jahrelang beherbergt es das „Healing Castle“, mit allerlei alternativen Therapieformen im Angebot.

Aber erstmal der Reihe nach: Das Dorf Schochwitz mit seiner Burg aus dem 12. Jahrhundert war der Mittelpunkt eine Ritterguts innerhalb der Grafschaft Mansfeld. 1573 kamen hier die Herren von Schulenburg ans Ruder (deren Nachfahren später im Widerstand gegen Hitler eine gewichtige Rolle spielen sollten).

1783, sechs Jahre vor der Französischen Revolution, kauften die Herren von Alvensleben das Rittergut. Es war eine militärisch geprägte Familie: Alle Alvensleben-Schlossherren bis 1912 waren preußische Generäle. 162 Jahre lang – bis 1945 – sollte das Schloss in ihrem Besitz bleiben. Verwaltet wurde das Anwesen von Pächtern.

Im Zweiten Weltkrieg bewirtschaftete Carl Wentzel das Gut mitsamt 36.000 Morgen eigenem und gepachtetem Land. In Wentzels damaligem Wohnsitz in Teutschenthal traf sich die Widerstandsgruppe um Carl Goerdeler, der nach Hitlers Absetzung als Reichskanzler vorgesehen war.

Besitzer des hochverschuldeten Schloss-Guts war der hohe NS-Funktionär Ludolf „Bubi“ von Alvensleben, von November 1938 bis Januar 1941 erster Adjutant von SS-Chef Heinrich Himmler.

Alvensleben gilt als einer der Hauptverantwortlichen für die Massaker von Piaśnica im Dezember 1939 im gerade besetzten Polen, die zwischen 10.000 und 13.000 Menschen das Leben kosteten.

Dass Wentzel das Alvenslebn’sche Schloss bewohnte, soll dem braunen „Bubi“ gar nicht gepasst haben. Angeblich warf der Nazi seinen Pächter mit den Worten „Liebes Carlchen, ich ziehe hier ein und du aus!“ aus dem Schloss – und versuchte seinen Gläubiger mithilfe seiner Amtsgewalt als „SS- und Polizeiführer“ in Dresden loszuwerden.

Eine Handhabe gegen den Verwalter hatte er allerdings erst nach dem Scheitern des Stauffenberg-Attentats. Anonyme Denunzianten belasteten Wentzel. Der Verwalter wurde von der Gestapo abgeholt und nach einem Schauprozess vor dem „Volksgerichtshof“ hingerichtet. Seine Frau kam ins KZ Ravensbrück.

Alvensleben musste seinem Chef Himmler die „Peinlichkeit“ erklären, dass in seinem Schloss an der Verschwörung gegen Hitler gefeilt worden war.

„Bubi“ Alvensleben floh später nach Argentinien. Er lebte dort ungestört bis zu seinem Tod 1970 und musste sich nie für seine Verbrechen verantworten. Das Schloss wurde 1945 durch die sowjetische Besatzungsmacht enteignet.

In der DDR-Zeit war das Gebäude zeitweise Sitz der Gemeindeverwaltung. Es wurde nach 1990 umfassend restauriert und befindet sich in Privatbesitz. Der Brite James Richard Welsh erwarb es 2006 bei einer Grundstücksauktion und richtete mit seiner Frau Ingrid Straub-Zerfowski ein Therapie-Hotel ein.

Aus brandschutztechnischen Anforderungen, denen nicht nachgekommen wurde, verkaufte das Ehepaar das Schloss an einen Clubbesitzer.


Heute habe ich eine ruhige Nacht am Sportcenter in Halle hinter mir. Ich danke Gott für seinen Schutz und Bewahrung und mache mich gegen 9.30 Uhr wieder auf die Reifen. Ziel ist heute das Schloss Schochwitz, über das ich schon im Internet einiges gelesen habe. Knapp 20 Kilometer fahre ich durch die hügelige Landschaft von Sachsen-Anhalt. Kurz vor meinem Ziel verfuhr ich mich erstmal und mußte auf einer schmalen Straße wenden. Anschließend parke ich unser Womo vor dem imposanten Gebäude auf dem Schlossvorplatz. Es ist eine Stille, wie man sie sonst nur im Wald findet. Kein Fahrzeug vor mir, kein Fahrzeug hinter mir, keine Menschen auf der Straße. Ich war alleine.


In unmittelbarer Nähe steht eine große evangelische Kirche.


Auf leise Sohlen schleiche ich an das große Schlosstor und kann durch einen kleinen Schlitz dieses Foto machen. An der linken Seite befindet sich ein weißer Klingelknopf auf weißem Putz; also kaum zu erkennen. Zunächst traue ich mich nicht auf den weißen Knopf zu drücken, sondern gehe um das Schloss herum.


Was ist das? Ich höre Kinderstimmen. Hinter dem Gebäude spielen eine handvoll Kinder und eine Frau ruft die kleine Schar zusammen. Auf Nachfrage von mir, wer der Schlossbesitzer sein, erhalte ich nur ein verschämtes Kopfschütteln. Ich bedanke mich für die aufschlussreiche Information und will wieder zu meinem Fahrzeug zurückkehren. Auf dem geschotterten Weg kommt mir ein junger Mann entgegen, der seinen zotteligen braunen und ungepflegten Bart unterhalb vom Kinn mit einem Einmachgummi zugeschnürt hat. Auch sein kurzer Pferdeschwanz trägt diesen merkwürdigen Verschluss. Fast muss ich lachen. Ohne ihn gefragt zu haben erklärt er mir, das die Lottogesellschaft aus überschüssigen Gewinnen, die niemand abholt, dieses Projekt der Kinderbetreuung finanziert. Sofort stelle ich meine mir wichtige Frage und schon sprudelt es aus ihm heraus. Der Besitzer sei ein merkwürder Mensch aus Berlin; er selbst hätte ihn hier noch nie gesehen. Aber er vermiete das Schloss an undurchschaubare Veranstaltungen. Oft laufen bei lauten Musik nackte Menschen durch den Schlossgarten und der zottelige, aber sehr freundliche junge Mann meinte noch mit einem verschmitzten Lächeln: "Ich denke, der Schlossherr kommt aus dem Rotlichtmilieu von Berlin und läßt hier seine Puppen tanzen." Ich frage nicht weiter nach, wir verabschieden uns freundlich.



Jetzt habe ich doch den Mut gefunden auf den weißen Knopf zu drücken. Ich höre ein Klingeln, ein Schlurfen von Schuhen und dann öffnet sich das Tor. "Ob ich mir auch den Innenhof anschauen könne", frage ich freundlichst. "Kommen Sie herein und schauen Sie sich in Ruhe alles an", kommt die promte Antwort.


Er sei nur der Verwalter und gleichzeitig Hausmeister dieses Anwesens. Sein Chef, der Besitzer dieses Schlosses wohne in Berlin und komme nur selten auf Besuch. Er sagte ohne mit der Wimper zu zucken, dass sein Chef mehrere dieser alten Gebäude im ganzen Osten gekauft hätte, um sie dort an spezielle Veranstaltungen zu vermieten. Was er nun mit "speziell" meinte, wußte ich ja schon und konnte mir eine Nachfrage ersparen. Auf meine vielen anderen Fragen, gab er bereitwillig Auskunft. So marschiere ich los und finde schnell erstaunliche Fotomotive.







Eine Türe im Nachbargebäude steht offen und ich werfe einen Blick in das Kaminzimmer. Ja, hier kann man sich wohl fühlen.


In einer Nische dieses großen Raumes liegen auf dem Boden zwei Plastikbeine und ein schon angepinselter goldener Arm. Was wohl hier für Gesellschaftsspiele stattfinden, geht mir so durch den Kopf. Lange will ich mich mit diesen Gedanken nicht beschäftigen und verlasse den Anbau.  Ich denke nur noch kurz über Herrn Ludolf von Alvensleben nach; wer weiß, was der alles hier getrieben hat.


Auch der angrenzende Schlossgarten lädt zum Verweilen ein.






Am Ausgang steht über der Tür: "Meinen Frieden gebe ich euch". Wieder einmal, wie jeden Tag der vergangenen Wochen denke ich an den Krieg in der Ukraine. Viele Menschen beten für den Frieden, auch ich. Möge Gott doch bald eingreifen.


Nach meinem Rundgang durch den Innenhof verlasse ich das geschichtsträchtige Schloss, rufe noch laut "Auf Wiedersehen", aber vom Verwalter fehlt jede Spur.
Vor dem Eingang möchte ich noch ein Bild von mir mit nach Hause nehmen, aber irgendetwas stimmt mit der Winkeleinstellung nicht.


Gegenüber dem Schloss stehen alte Häuser, wo ebenfalls kein Mensch zu sehen ist. Aber das Kopfsteinplaster aus alter Zeit ist immer präsent.



Auf einer Bank vor dem Schloss nehme ich einen Moment Platz und denke daran, was dieses Gemäuer schon alles erleben mußte.
Über die Landstraßen Sachsen-Anhalts fahre ich weiter nach Westen. Die letzten 80 Kilometer gehen über die Autobahn, die wiedererwartend heute leer ist. Gemütlich und ohne Stress fahre ich zu meinem nächsten Übernachtsplatz nach Bad Berka. Kurz vor dem Stellplatz gerate ich wiederholt in eine enge Nebenstraße, wo mir fast der Atem still steht. Durchgangshöhe 2,90 Meter. Ich lege den Rückwärtsgang ein und rolle zurück an eine Einfahrt, ein Autofahrer hat winkend Verständnis, und kann hier mit etwas Umsicht das Fahrzeug drehen. Ich stelle das Womo bei Kik ab und suche zu Fuß den Weg zum Platz. Dann ist alles OK und nach kurzer Zeit stehe ich mit 6 anderen Wohnmobilisten auf einem hoffentlich ruhigen Stellplatz mitten in der Stadt.



Ich ruhe aus, esse, lese und lasse so den Tag ausklingen.
Heute abend kommt die Maybrit Illner: Ampel unter Druck - Keine Strategie in der Energie-Krise? Mal sehen, ob ich dazu bereit bin, mir dieses Dilemma anzuschauen. Was werden wohl die nachfolgenden Generationen darüber denken und welche Last kommt auf sie zu. Gut, dass wir einen liebenden Gott haben, der alles im Griff hat und auf den wir voll vertrauen können. Lobpreis sei dem HERRN.

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